Zwei Komponenten im "Placebo" Effekt von Lerntechn

Hier wird über das Gedächtnis und Gehirn aus der Perspektive der Medizin und Wissenschaft diskutiert incl. Thematiken rund um Altersdemenz, Alzheimer aber auch Hochbegabung bei Kindern etc.

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DocTiger
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Zwei Komponenten im "Placebo" Effekt von Lerntechn

Beitrag von DocTiger »

Mir ist mal aufgefallen, dass manchmal behauptet wird, Lerntechniken hätten einen Placeboeffekt. Wahlweise basiert der auf mehr Anstrengung, mehr Interesse für das Thema oder mehr Selbstvertrauen. Auch die immer subjektive Wahrnehmung eines Beobachters ist zwangsläufig beeinflusst. Placeboeffekt ist eigentlich nicht der korrekte Ausdruck, denn er ist reserviert für Medikamentenstudien. Aber jeder kennt das Wort und er wird gerne falsch verwendet.

Aber ist es dann noch ein Placeboeffekt im Klassischen Sinne? Also erstmal.... Doppelblindstudien in der Lerntechnik sind nicht möglich. Der "Lehrer" muss wissen ob er sich gerade in einer Kontrollgruppe befindet oder in welcher der Interventionsgruppen.

Ich glaube es gibt mindestens zwei Komponenten eines Placeboeffektes. Einmal die subjektive Wahrnehmung des Lernenden, nach dem Motto "Es muss doch gewirkt haben", sowie andererseits der Effekt des Wechsel von "Ich lerne halt" zu "Ich beschäftige mich intensiv mit dem Thema Lernen".

Die zweite Komponente ist weder ein Effekt der jeweiligen Lerntechnik, noch ein völlig unabhängiger Placeboeffekt.
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Phexx
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Beitrag von Phexx »

Es ist aber nicht schädlich einen kombinierten "placeboeffekt" zu haben, ganz im gegenteil, das ist doch förderlich!

Wenn der placeboeffekt konstant erreicht werden könnte, wäre das allein schon ein plus für die sache!

Wenn dann noch neben dem placeboeffekt andere positive effekte dazukommen, wirds richtig gut!
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DocTiger
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Beitrag von DocTiger »

Das war auch nicht negativ gemeint, eher als positiver Punkt. Deshalb sollte man ja garnicht erst von Placeboeffekt reden. Bei Medikamenten ist dieser Effekt nicht wirklich ausnutzbar, weil man dazu Patienten verarschen muss, was wiederum gegen die Berufsethik verstößt und der Arzt volle Kontrolle über die Behandlung hat, was allerhöchstens im KH möglich ist.

Akupunktur dagegen, während ein echter belegter Effekt in greifbare Nähe rückt, ist mindestens mal ein hoch effektives Placebosystem.
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altbauer

Re: Zwei Komponenten im "Placebo" Effekt von Lernt

Beitrag von altbauer »

DocTiger hat geschrieben:Mir ist mal aufgefallen, dass manchmal behauptet wird, Lerntechniken hätten einen Placeboeffekt.
Vermutlich war hier der Hawthorne-Effekt gemeint.
BTW: Warum sollte man keine Vergleichsstudien zwischen verschiedenen Lerntechniken oder Unterrichtstechniken durchführen können, ohne dass der Lehrende oder der Schüler weiß, welche Methode jetzt die ist, die auf dem Prüfstand steht?
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DocTiger
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Beitrag von DocTiger »

Weil dann beide auf dem Prüfstand sind ;-)
Allerdings sind empirische Versuche in der Soziologie/Pädagogik nicht ganz dasselbe wie in der Biologie. Hundert Probanden sind bei denen schon recht viel...

Und da jede Leistungsbewertung einerseits subjektiv und andererseits stark von subjektiven Empfindungen der Probanden (Motivation) und der Chemie mit dem Lehrenden sowie von dessen Fähigkeiten abhängig ist, machen vergleichende Studien auch garnichtmal so viel Sinn.

Lieber den Fortschritt von Anfängern beobachten, und sie Aufgaben bewältigen lassen, wo auch Aussenstehende denken, dass wäre praxisrelevant.
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altbauer

Beitrag von altbauer »

DocTiger hat geschrieben:Und da jede Leistungsbewertung einerseits subjektiv und andererseits stark von subjektiven Empfindungen der Probanden (Motivation) und der Chemie mit dem Lehrenden sowie von dessen Fähigkeiten abhängig ist, machen vergleichende Studien auch garnichtmal so viel Sinn.
Sorry, aber das ist einfach falsch. Man kann unter Kontrolle der Rahmenbedingungen (Kontrollvariablen) recht gut verschiedene Lerntechniken vergleichen. Das ergibt immer noch ein besseres Ergebnis als irgendwelche Einschätzungen von außenstehenden. Es gibt nichts, das man in der Psychologie so gut messen kann, wie intellektuelle Leistungsfähigkeit, was auch für die Pädagogik gilt.
Pat
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Beitrag von Pat »

Man kann unter Kontrolle der Rahmenbedingungen (Kontrollvariablen) recht gut verschiedene Lerntechniken vergleichen.
Ich denke, was Dein Vorredner meint, ist, dass schon das Messen und damit Herausfiltern der Kontrollvariablen (Beeinflussung durch die Lehrperson etc...) oft nicht so leicht fällt. Grundsätzlich gebe ich Dir aber recht.
Es gibt nichts, das man in der Psychologie so gut messen kann, wie intellektuelle Leistungsfähigkeit
Man kann vielleicht Gedächtnisleistungen sehr exakt messen, aber eine genaue Bewertung höherer intellektueller Leistungen fällt auch der Psychologie sehr schwer. Zum Einen gilt die vermeintlich umfassende Bewertung der Gesamtintelligenz durch "Intelligenztests" als zweifelhaft, zum Anderen sind auch einzelne Intelligenz-Variablen wie Abtraktionsfähigkeit und Problemlösung bisher nicht zufriedenstellend quantifizierbar.

Es gibt sicher andere Dinge, die man in der Psychologie in Relation exakter (wenn auch absolut gesehen immer noch nicht ausreichend genau) messen kann, z. B. den Erfolg vn Angsttherapien durch Abgleichung der Amygdala-Aktivität oder durch die subjektive Einschätzung des Patienten. Gerade bei solch subjektiven Faktoren wie Angst erhält ja die subjektive Einschätzung, das Empfinden des Gefühls, eine nahzu objektive Qualität. Wenn der Patient bei ausreichender Selbstreflexion meint, sein Angstgefühl habe sich vermindert, und sich dies dann auch in geändertem Verhalten (z. B. Reduzierung der Vermeidungsstrategien etc..) bestätigt, dann hat dies eine klar messbare Qualität.
altbauer

Beitrag von altbauer »

Pat hat geschrieben:Man kann vielleicht Gedächtnisleistungen sehr exakt messen, aber eine genaue Bewertung höherer intellektueller Leistungen fällt auch der Psychologie sehr schwer. Zum Einen gilt die vermeintlich umfassende Bewertung der Gesamtintelligenz durch "Intelligenztests" als zweifelhaft, zum Anderen sind auch einzelne Intelligenz-Variablen wie Abtraktionsfähigkeit und Problemlösung bisher nicht zufriedenstellend quantifizierbar.
Es gibt nichts so Stabiles wie die Intelligenz eines Menschen - mit Intelligenztests kann man damit die Obergrenzen spezifischer Leistungen ziemlich genau bestimmen, besonders dann, wenn man die Menschen sehr viel davor üben lässt - man erreicht eine Grenze, die nicht überschritten werden kann. Da gibt es jede Menge psychologischer Testverfahren - etwa die kulturfreien -, die man dabei einsetzen kann.
Ganz etwas anderes sind Persönlichkeitstests, hier gibt es einen Interpretationsspielraum, aber in rein intellektuellen Fähigkeiten wie Fluency oder Reasoning oder räumlichen Vorstellungsvermögen gibt es individuelle Grenzen, die man auch durch Training nicht überschreiten kann.
Man darf IMHO die Frage der exakten Messbarkeit nicht mir der Frage der alltagpraktischen Relevanzvermengen, wie das mein Vorredner getan hat.
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DocTiger
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Beitrag von DocTiger »

Hm, ob "Intelligenz" steigerbar ist, wollte ich hier überhaupt nicht diskutieren. auch "Leistungsfähigkeit" an sich nicht, eher ob und wie man die Eignung einer Lerntechnik als Verbesserung des Lernens jedes einzelnen Menschens bewerten kann. Diesbezüglich kenne ich keine überzeugenden Strategien, die angewandt wurden.

Mit dem räumlichen Vorstellungsvermögen bin ich mir auch nicht so sicher. Ich kann mir eine ganze Menge mehr und detaillierter vorstellen, als vor ein paar Jahren, und auch wenn ich mich tiefer in die Mathematik hinein begebe, tue ich das auch über Vorstellungswelten die ich vorher nicht hatte. Gemessen an der Verbesserung, die ich in meiner Visualisierungsfähigkeit gesehen habe, scheint mir eine theoretisch existierende Obergrenze derselben bislang nicht einer Überlegung wert.... Und ich bezweifle ganz stark, dass unser Bildungssystem (in Erweiterung mit Eltern und Vereinen) die Kinder annähernd an ihre Obergrenze (aus lebensweiter Perspektive) bringt.

Was mich in letzter Zeit beschäftigt ist, dass Intelligenztests oder andere Fähigkeiten nicht so schlecht zu phänotypisieren sind, aber dass anscheinend niemand bereit ist, genetische Studien auf diesem Gebiet zu machen. Ich denke mal, das liegt an einem Tabu. Aber betrachtet man die anderen GWAS, dann würde man eh keine Allele finden für mehr als ein Prozent, und selbst das wäre schon Glück.
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altbauer

Beitrag von altbauer »

Was meinst du mit genetischen Studien?
Etwa solche?
Borkenau, P. (1993). Anlage und Umwelt: Eine Einführung in die Verhaltensgenetik. Göttingen: Hogrefe.
Plomin, R., DeFries, J.C., McClearn, G.E. & Rutter, M. (1997). Behavioral Genetics. New York: Freeman.
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Beitrag von DocTiger »

Nein ich meine GWAs mit ein paar Tausend Teilnehmern und ein bis zwei Millionen genomüberspannenden Markern.
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Beitrag von altbauer »

DocTiger hat geschrieben:Nein ich meine GWAs mit ein paar Tausend Teilnehmern und ein bis zwei Millionen genomüberspannenden Markern.
Und was sind für dich GWAs?
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Der_Molch
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Beitrag von Der_Molch »

Meinst du Genome Wide Association Studies (GWA)? Ich kann mir nicht vorstellen, dass man damit selbst wenn man die Rechenpower hätte konkrete Aussagen bekommt. Bedenke, dass es Gene im Gehirn gibt, die bis zu 30000 verschiedene Spleißvarianten ermöglichen und deren funktionalen Proteine natürlich nicht die eine linieare Aufgabe erfüllen. Selbst mit Proteomics werden wir noch auf bessere Methoden und Rechenpower warten müssen.
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DocTiger
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Beitrag von DocTiger »

Naja ich hab sowas schon getan. Die Rechenpower ist garnicht so das Problem, meine Studien macht mein Laptop mit links. Die sind zwar viel kleiner als die von den Humanis, aber das geht auch.

Ich würde nicht erwarten, mit dieser Methode allzuviel Varianz erklären können, sondern vielleicht ein paar Mutationen die so 3% ausmachen ähnlich wie bei anderen quantitativen Merkmalen.

Man testet also nicht die Funktion von Genen, sondern den Effekt von Mutationen/Variationen, und diesen Effekt nur durch repräsentative Mutationen die gleichzeitig vererbt werden mit den kausalen, aber häufiger auftreten. Dadurch entwickelt man indirekte Gentests.

Da liegt auch meine Erklärung warum es noch niemand mit IQ oder kognitiven Fähigkeiten gemacht hat (außer Alzheimer): Man könnte auf die Idee kommen, Gentests anzubieten für Einstellungsstests... Man wird sowas also erst machen, wenn das Ausnutzen dieser Informationen auf einem Großteil der Welt hochgradig verboten ist. In Amerika ist das schon der Fall.
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Der_Molch
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Beitrag von Der_Molch »

in Deutschland gibt es ebenfalls seit Anfang des Jahres ein Gesetz das Gendiagnostik sehr stark einschränkt. Es dürfen nun mehr nur noch Gentests zu Verifikation einer Verdachtsdiagnose gemacht werden. Für Patienten unter 18 Jahren darf nur dann getestet werden, wenn die Krankheit vor dem 18. Lebensjahr auftritt oder wenn die Prävention der vermuteten Krankheit bereits schon unter 18 Jahren essentiel notwendig ist. Das schränkt enorm ein!

Aber dennoch sind die Fragen was ist Intelligenz und wie entsteht sie viel zu unscharf. Außerdem ist schon länger aus Zwillings- und Weisen-Studien bekannt, dass die geistige Entwicklung und damit auch deren geistige Leistungsfähigkeit enorm von dem Umfeld des Individuums abhängt!

Natürlich will ich nicht abstreiten, dass du abnorme Intelligenzveränderungen an Menschen mit AMPA oder NMDA (und ähnliche) Rezeptormutationen haben kannst, aber solange man das Umfeld der Probanden nicht standartisieren kann, denke ich ist eine Beurteilung über den Genotyp nicht das non-plus-ultra. Möglich ja, aber ...


P.S. So ganz nebenbei ist dieses Gesetz offen wie ein Scheunentor für Pränatale Implantations Diagnostik, mal sehen wie's sich entwickelt, ein Arzt ist ja schon freigesprochen worden. Demnächst kommt sicher die Gesetzestextänderung; pro PID!
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Beitrag von Phexx »

DocTiger hat geschrieben:
Da liegt auch meine Erklärung warum es noch niemand mit IQ oder kognitiven Fähigkeiten gemacht hat
ich glaube immernoch, dass das nicht stimmt. Vielleicht sollte ich den Vortrag noch mal rauskramen wo darüber geredet wurde. Meines Wissens nach war da nur niemand erfolgreich.
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Andi
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Beitrag von Andi »

Placebo wirkt auch ohne Täuschung

Wichtigste Vorraussetzung für den Placebo-Effekt ist die Ahnungslosigkeit des Patienten: Er darf nicht wissen, dass er nur ein Scheinmedikament einnimmt – so glaubte man jedenfalls bisher. Nun zeigten Wissenschaftler jedoch, dass Placebos sogar dann wirken, wenn sie als solche gekennzeichnet sind.

Ted Kaptchuk von der Harvard Medical School in Boston und seine Kollegen führten dazu eine dreiwöchige Studie an 80 Patienten durch, die am Reizdarmsyndrom litten. Dabei teilten sie die Probanden in zwei Gruppen auf: Die eine Hälfte bekam keine Behandlung, die andere Hälfte erhielt Placebo-Kapseln, die sie zweimal am Tag einnehmen sollten. Die Mediziner beschrieben diese den Patienten gegenüber ehrlich als "Zuckerpillen" und machten ihnen deutlich, dass diese keine wirksamen Substanzen enthielten. Zusätzlich waren die Packungen mit dem Wort "Placebo" beschriftet. Kaptchuk betont: "Wir erzählten den Patienten, dass sie nicht einmal an den Placeboeffekt glauben müssten. Sie sollten nur die Pillen nehmen."

Nach drei Wochen haben sich bei 59 Prozent der Patienten, die das Placebo nahmen, die Symptome deutlich verbessert. Bei den Beteiligten, die keine Pillen genommen hatten, waren dies hingegen deutlich weniger, nämlich nur 35 Prozent. Die Forscher betonen jedoch, dass es sich um eine sehr kleine Studie handelt und die Ergebnisse noch in umfangreicheren Untersuchungen bestätigt werden müssten. Offen bleibt bei seiner Studie außerdem, ob auf herkömmliche Weise verabreichte Placebos nicht vielleicht noch besser gewirkt hätten. Dennoch: "Die Erkenntnisse deuten darauf hin, dass nicht allein positives Denken, sondern auch die schlichte Durchführung eines medizinischen Rituals einen signifikanten Nutzen haben könnte", meint Kaptchuk. (fb)

Quelle: http://www.wissenschaft-online.de/artikel/1058069
„Die Leistungsfähigkeit des Hirns nimmt zu, je mehr man es in Anspruch nimmt.“
Alfred Herrhausen (1930-1989), dt. Bankier
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