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Befinden sich Routen im Hippocampus?

Verfasst: Sa 05. Mär 2011, 11:28
von Julian
Hallo,
im Buch von Manfred Spitzer "Lernen" ist beschrieben, dass der
Hippocampus für die räumliche Orientierung zuständig ist, dass
man sogar durch Drähtchen im Hippocampus von Ratten berechnen
konnte, wo sie sich gerade in einem Kasten befanden.

Londoner Taxifahrer haben einen größeren Hippocampus, weil sie sich
in einer undurchsichtigen Umgebung gut orientieren müssen.
Haben Gedächtnissportler also auch einen größeren Hippocampus, weil
sie sich die ganze Zeit auf ihren Routen orientieren müssen?

Bei Stress gehen Zellen im Hippocampus kaputt.
Antidepressiva fördert die Neubildung von Zellen im Hippocampus. Wurde
schon einmal untersucht, ob sich das stärker auf die Gedächtnisleistung auswirkt?
http://sciencev1.orf.at/science/news/84706

Wurde überhaupt schon einmal untersucht, welche Gehirnregionen
aktiviert sind, wenn man sich verschiedene Orte vorstellt?

Verfasst: Sa 05. Mär 2011, 12:36
von µBx
Wurde überhaupt schon einmal untersucht, welche Gehirnregionen
aktiviert sind, wenn man sich verschiedene Orte vorstellt?
Ja, es ist der Hippocampus, allein die Vorstellung an einen Ort aktiviert die dortigen Nervenzellen zum 'feuern' wie es in dem Buch beschrieben ist.

Ich halte es übrigens zu naiv zu sagen "Die Routen befinden sich im Hippocampus" obwohl ich weiss was du eigentlich/eher meinst, der Hippocampus ist ein wesentlicher Bestandteil im Memorieren da wir uns Orte vorstellen und somit neuronen im Hippocampus aktivieren.

Falls deine Fragestellung eher so zu verstehen ist wo wir Orte im Gehirn abspeichern... ja im Hippocampus, dort werden Orte und 'einzelne' Informationen gespeichert. Das steht aber auch 1:1 so im Buch..

Das Gedächtnis ist ein psychologisches Forschungsgebiet das zwar ausgiebig erforscht wird aber dennoch ist es noch längst nicht völlig verstanden.

Verfasst: Sa 05. Mär 2011, 13:32
von Kevin
Befinden sich Routen im Hippocampus?
Die beiden Hippocampi spielen eine zentrale Rolle bei der Regulation von Gedächtnis und Räumlicher Orientierung.

die räumliche Nähe beider Funktionen gibt einen Hinweis, warum die Lokimethode so gut funktioniert.

Ein und vorallem beidseitige Schädigungen führen zu einer massive Störung im episodischen Gedächtnis, nicht unbedingt des Langzeitgedächtnis, was soviel bedeutet wie die Betroffen haben nach dem Zeitpunkt der Schädigung Schwierigkeiten neue Informationen zu speichern z.B wie in dem Film Memento.

Bei Alzheimer-Erkrankung sterben Zellen in den Hippocampi ab (aber eben nicht nur dort). ( http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/19847044 )

bei einer anderen Erkrankung der TGA (Transienten Globalen Amnesie) kommt es zu einer vorübergehenden Störung des episodischen Gedächtnises. Bei einigen Patienten können 48-72h nachdem Ereignis MRT-Veränderung in den Hippocampi dargestellt werden, als Hinweis auf eine Funktionsstörung. ( http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/20129169 )


stark vereinfacht kann die Frage mit Ja beantwortet werden. Die Räumliche Orientierung sowie gedächtnisfunktionen werden über Nervenbahnen im Hippocampus verschaltet. Wie genau es funktioniert ist wohl ziemlich komplex und genau weiss es noch niemand ( http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/18646623 , http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/16011544 )
Antidepressiva fördert die Neubildung von Zellen im Hippocampus. Wurde
schon einmal untersucht, ob sich das stärker auf die Gedächtnisleistung auswirkt?
Antidepressiva sind größtenteils kein hochselektiven Medikamtente sondern wirken an verschiedensten Orten im ZNS, daher haben sie auch viele unerwünsche Wirkungen. Einige von ihnen besonders die sogenannte Trizyklika verschlechtern kognitive Leistungen wahrscheinlich durch anticholinerge Effekte. Bisher wurde für kein Medikamente ein Steigerung der Gedächtnisfunktion nachgewiesen. Studienewrgebnisse zu moderneren Antidepressiva und großen Hoffnungsträgern, den selektiven Serotonin Wiederaufnahme-Hemmern, waren sehr inkonsistent. Größtenteils war kein positiver Effekt auf das Gedächtnis zu beobachten. Einen verständlichen Überblick bietet folgendes Buch ( Hirndoping: Warum wir nicht alles schlucken solllten 2010 ).[/quote]

Verfasst: Sa 05. Mär 2011, 14:58
von Pat
Was bei der Taxifahrerstudie oft unbeachtet bleibt: Natürlich hatten die Busfahrer keinen größeren Hippocampus, dafür hätten sich ja alle umliegenden Gehirnregionen verschieben müssen. Der Teil des Hippocampus, der für die diesbezüglichen Funktionen zuständig ist, war vergrößert, dafür war der Rest dementsprechend kleiner, die Gesamtmasse wich nicht ab.

Wäre auch mal interessant, ob die Taxifahrer wegen ihres kleineren anderen Hippocampusbereiches auch nachprüfbare Auswirkungen hatten.

Bei der Locimethode ist neben dem Hippocampus im übrigen sicher noch der Bereich zuständig, der vom visuellen Cortex über den Hirnrücken verläuft (sog. "dorsal pathway"), aber je nach Technik der Bilderzeugung wohl auch der seitlich verlaufende sog. ventral pathway, der für die Erzeugung statischer, detaillierter Bilder zuständig ist.

Verfasst: Sa 05. Mär 2011, 15:44
von Julian
Interessant!
Auf jeden Fall aber wäre es sehr spannend, mal erfahrene Gedächtnissportler
im MRT zu untersuchen.
- unterscheiden sich bestimmte Gehirnregionen von "normalen" Menschen?
- was unterscheidet einen erfahrenen Gedächtnissportler von einem unerfahrenen?
(ähnlich wie bei Rüdiger Gamm und einem "Normalrechner")

Man könnte auch eine Gruppe eine Route lernen lassen, um zu schauen,
auf welchen Routenpunkten die wenigsten Bilder vergessen werden.
(Eventuell aber Anweisungen für das Merken geben, zum Beispiel Objekt - Verb)

Verfasst: Sa 05. Mär 2011, 19:23
von DocTiger
Also ich brauch kein fMRI um zu vermuten, dass Orientierungssinn etwas mit Leistungen im Gedächtnissport zu tun hat.

Andererseits kommt unser Ortsgedächtnis einem "fotografischen Gedächtnis" relativ nahe. Überlegt euch mal einen Ort an dem ihr in den letzten paar Tagen wart und wieviele Informationen ihr darüber noch wisst. In der Regel kann man locker 10-20 Routenpunkte ohne Mühe an nur einmal gesehenen Orten definieren, während ich zumindest Probleme habe mich zu erinnern was ich in der Letzten Woche gegessen habe.

Vielleicht ist ein echtes fotografisches Gedächtnis möglich, wenn man alle lernenswerten Informationen in den Orientierungssinn transferieren kann?

Verfasst: Sa 05. Mär 2011, 20:07
von Boris
Genau das sind wesentliche Teile der Untersuchungen die wir bei mir am Institut machen und zum großen Teil schon gemacht haben (insgesamt 15 Gedächtnissportler haben an einer fMRT Studie teilgenomemn). Erste Veröffentlichungen dazu sind in den nächsten Monaten zu erwarten.

Vgl. dazu natürlich auch Maguire et al.: Routes to remembering: the brains behind superior memory.

Verfasst: Sa 05. Mär 2011, 23:36
von Julian
Cool, ich bin gespannt!