Alle Länder der Erde (Major)

Alles was Lerntechniken und Lernstrategien betrifft, insbesondere aber nicht ausschließlich gehören hier auch die Anwendungen von Mnemotechnik herein.
Wie kann ich am besten für Prüfungen lernen, wie merke ich mir Namen, wie lerne ich Zahlen oder Formeln etc.

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Klaus Horsten
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Beitrag von Klaus Horsten »

Diese Garderobe stellt einen wesentlichen Fortschritt gegenüber meiner dar.

Grund: Hier werden die unanschaulichen Länder mit anschaulichen, sie symbolisierenden Gegenständen verbunden.
Ulrich Voigt hat geschrieben:... Nr.61 : Schottische Herz-Uhr ... Nr.94 : Peruanischer Geisterhund
Ich frage:
* Ist die Bizarrerie nicht doch ein taugliches Mittel fürs Merken? Denn diese Garderobe ist doch sehr bizarr.
* Weshalb die zusammengesetzten Substantive? Weshalb nicht: "Uhr" statt "Scherzuhr", weshalb nicht "Hund" statt "Geisterhund"? Die Zusammensetzungen besitzen wohl mehr Bindekraft.
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Ulrich Voigt
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Beitrag von Ulrich Voigt »

Klaus Horsten hat geschrieben:Diese Garderobe stellt einen wesentlichen Fortschritt gegenüber meiner dar.
Nein, das kann man eigentlich nicht sagen. Es geht nur um eine Anwendung.
diese Garderobe ist doch sehr bizarr.
Die Garderobe besteht zunächst nur aus den geographischen Angaben und ist überhaupt nicht bizarr. Der Rest sind Mäntel, die ich an der Garderobe aufgehängt habe. Also "Peru" = Haken Nr. 94 der Garderobe. Der Geisterhund hängt am Haken Nr. 94.
Wenn also aus irgendwelchen Gründen die Frage auftauchen sollte: "Welche Nr. hat der Hund?", so führt die Überlegung HUND > GEISTERHUND > PERU zur Antwort.
Wenn das dann aber einmal einigemaßen etabliert ist, so verwandeln sich die "Mäntel" in ebensoviele Haken einer neuen 100-Garderobe. Um mir also zu merken, dass Mr. X in der Grindelallee Nr. 94 wohnt, genügt es dann, dass ich mir, indem ich die Grindelallee entlanggehe, vorstelle, dort, wo Mr. X wohnt, auf einen Hund zu treffen.
Und indem ich die Gewohnheit entwickle, mir Zahlen auf diese Weise zu merken, - wird die gesamte Sequenz von 100 kleinen Phantasien allmählich mein geistiger Besitz, mit dem ich "wie im Schlaf" schalten und walten kann.
Ist die Bizarrerie nicht doch ein taugliches Mittel fürs Merken?
Nach wie vor antworte ich: Nein, das Bizarre soll nicht angestrebt werden, sondern nach Kräften vermieden. Die vorliegenden 100 kleinen Phantasien, die sich hinter den Wortkombinationen auftun, entspringen dem Bemühen, möglichst natürlich zu bleiben und keineswegs dem Versuch, bizarr zu werden.
Das Problem ist nur, dass sich auch beim besten Willen das Bizarre nicht vermeiden lässt und dass es dann auch eine Wirksamkeit entwickelt. Ein schwieriges Problem!
Weshalb die zusammengesetzten Substantive? Weshalb nicht: "Hund" statt "Geisterhund"?
Lieber Klaus Horsten! Ich bin mir sicher, dass Du Dir diese Frage längst beantwortet hast!
Die Zusammensetzungen besitzen wohl mehr Bindekraft.
Da Dir die kleinen Phantasien offenbar zusagen, darf ich diese Frage als ein Kompliment betrachten. Ja, auch mir leuchten diese Phantasien ein, die meisten spontan, die anderen mit etwas Nachdenken. Und davon hängt einiges ab. Im Gegensatz zu den "Gedächtnissportlern" benutze ich nämlich Mnemotechnik zum dauerhaften Abspeichern wichtiger und nützlicher Inhalte.

U.V.
Klaus Horsten
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Beitrag von Klaus Horsten »

Ulrich Voigt hat geschrieben:Diese Garderobe ist ein Fortschritt. - Nein!
Doch. Es ist der Unterschied zwischen Mechanik und Geist. Meine ist mechanisch generiert worden mittels eines Programms. Deine ist geistig durchdacht. Und das Wesentliche: zu einer Garderobe gehören auch die Mäntel, die auf ihr hängen. Bei meiner fehlen die Mäntel. Und Mäntel gehören wesentlich zu einer Garderobe.

Genauer: Meine muss ich auswendig lernen = keine Mnemotechnik. Die Garderobe mit den Mäntel hingegen bietet das erste Stück einer Assoziationskette, mit der ich das Wort aus dem Gedächtnis hervorholen kann.
Ulrich Voigt hat geschrieben:Diese Garderobe ist bizarr. - Nein!
Doch. Macht sie nicht einen etwas verrückten Eindruck auf Leute, die sich nicht mit Mnemotechnik beschäftigt haben? Und das meine ich mit bizarr.
Und gibst Du nicht selber zu, dass sie bizarr ausgefallen ist, obgleich Du das nicht willst?
Ulrich Voigt hat geschrieben:Mäntel, die ich an der Garderobe aufgehängt habe.
Genau das ist, was mir gefehlt hat. Das ist das Öhr, um den Erinnerungsfaden einzufädeln.
Ulrich Voigt hat geschrieben:Wenn also aus irgendwelchen Gründen die Frage auftauchen sollte: "Welche Nr. hat der Hund?", so führt die Überlegung HUND > GEISTERHUND > PERU zur Antwort.
Das meine ich damit, dass Deine Garderobe die Anfangsglieder einer Assoziationskette haben, meine nicht, und das sehe ich als sachlichen Fortschritt an.
Ulrich Voigt hat geschrieben:Ist die Bizarrerie nicht doch ein taugliches Mittel fürs Merken? Nein!

Da ist ein Widerspruch, den man nicht einfach durch eine formelle Ablehnung wegtun kann. Hier muss eine Unterscheidung her. Es gibt Fälle, da ist das Bizarre gut, wie hier, und andere, in denen die Natürlichkeit viel besser ist, wie etwa dann, wenn Majorwörter von Geschichtsdaten tatsächlich aus den historischen Ereignissen stammen, die man sich zu merken versucht.
Ulrich Voigt hat geschrieben:Da Dir die kleinen Phantasien offenbar zusagen, darf ich diese Frage als ein Kompliment betrachten.
Ja! Und ich bedanke mich herzlich für diese gerade im so wichtigen Detail mich weiter bringenden Beispiele.

Aller Fortschritt der Mnemotechnik - der subjektive wie der geschichtliche - liegt heute im Detail.

Für die Mnemotechnik gilt: Memoria artificialis non saltat.
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Ulrich Voigt
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Beitrag von Ulrich Voigt »

Klaus Horsten hat geschrieben:Hier muss eine Unterscheidung her. Es gibt Fälle, da ist das Bizarre gut, wie hier, und andere, in denen die Natürlichkeit viel besser ist,
Das Bizarre ist dann gut, wenn es nicht vermieden werden kann, wenn trotz großer Anstrengung kein natürlicheres Bild herauskommt. "Gut" = "Notwendig".
Begründung: Nur unter dieser Prämisse entsteht ernsthafte Bereitschaft, das bizarre Bild anzunehmen.
Und ich bedanke mich herzlich

Jetzt könntest Du einmal im Detail,schauen, was Du von den Bildern hältst. Vielleicht lassen sie sich ja hier oder da verbessern.

U.V.
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Mindman
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Beitrag von Mindman »

Noch mal zum Bizarren. Ist es nicht so, daß man sich ausgefallene, bizarre Dinge besser merkt??? Also Dinge, die außerhalb des Normalen liegen? Wenn ich ein Hund sehe in Straße X und einen Hund in Straße Y und der Hund in Straße Y raucht eine Zigarre, da kann ich mir doch letzteren viel einfacher merken, oder nicht?

Ist das Gehirn nicht so angelegt, daß alles, was aus der Reihe tanzt, besser merkbar ist?

Gruß,
Mindman
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Ulrich Voigt
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Beitrag von Ulrich Voigt »

Mindman hat geschrieben:Wenn ich ein Hund sehe in Straße X und einen Hund in Straße Y und der Hund in Straße Y raucht eine Zigarre, da kann ich mir doch letzteren viel einfacher merken, oder nicht?
Ja, ohne jede Frage. Es ist nur so, dass uns solche Hunde ja gar nicht wirklich begegnen. Wir müssen sie uns erst einmal ausdenken. Und hier entsteht dann die Frage, wie ich konstruiere: So, dass das Bild möglichst bizarr wird? Oder so, dass es möglichst natürlich wird?
Ich antworte: Ganz klar so, dass es möglichst natürlich wird. Und warum ich so antworte? Weil die Bilder, mit denen wir es hier zu tun haben, ohnehin keine Chance haben, wirklich natürlich zu werden, sondern immer nur bizarr möglich sind. Wenn ich nun gewissermaßen zusätzlich versuche, sie bizarr zu machen, werden sie schlecht.
Man stelle sich einen mit Gas gefüllten Luftballon vor, mit dem ich spazierengehen möchte. Muss ich nun versuchen, ihn nach oben zu bugsieren? Nein, ich muss ihn immer zur Erde ziehen.
Die Qualität der immerhin 100 Seiten mnemotechnischer Phantasie in Das Jahr im Kopf, ebenso wie der Geschichte vom Rebhuhn in Esels Welt, beruht auf dem angestrengten Versuch, alles Bizarre nach Kräften zu vermeiden.

U.V.
Martin
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Beitrag von Martin »

Ulrich Voigt hat geschrieben:Weil die Bilder, mit denen wir es hier zu tun haben, ohnehin keine Chance haben, wirklich natürlich zu werden, sondern immer nur bizarr möglich sind. Wenn ich nun gewissermaßen zusätzlich versuche, sie bizarr zu machen, werden sie schlecht.
Meinst Du mit „schlecht“ gewissermaßen „überfrachtet bzw. überladen“? Also ein unnötiges, verwässerndes „Doppelt- Gemoppelt“, das langfristig gesehen das Memorieren eher erschwert als erleichtert, weil sehr schnell mittels dieses „Bizarr“- Ansatzes eine Beliebigkeit erzeugt wird, die dem ursprünglichen Ansatz (mnemotechnische Aufbereitung des zu Lernenden zwecks leichterer Memorierung) diametral entgegenwirkt?

Mit anderen Worten: Deine These ist, dass jede mnemotechnische Phantasie an sich bereits nicht natürlich, also von vornherein quasi bizarr oder unwirklich, ist und somit jede Form von zusätzlicher Überzeichnung, d.h. Einbringen bizarrer Elemente, die für sich genommen bereits wiederum in der konstruierten Phantasie „unnatürlich“ sind (neben der ersten, von der konstruierten Phantasie geformten Ebene eine zweite, ebenso nicht natürliche Ebene bilden, wenn man so will), für die Harmonie und langfristige Verwertbarkeit der erschaffenen Phantasie schädlich ist. Zumindest gilt dies nach Deinem Bekunden in weiten Grenzen, allerdings nicht absolut, da eine gewisse Bizarrerie (zweite Ebene!) teilweise unumgänglich ist oder erscheint.
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Ulrich Voigt
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Beitrag von Ulrich Voigt »

Martin hat geschrieben:dass jede mnemotechnische Phantasie an sich bereits nicht natürlich ... ist
Genau! Esels Welt ist in gewisser Weise eine Abhandlung über die Frage, wie man es in der Mnemotechnik am besten anstellt, dem Realen und Natürlichen nahezukommen.

U.V.
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Mindman
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Beitrag von Mindman »

Ich antworte: Ganz klar so, dass es möglichst natürlich wird. Und warum ich so antworte? Weil die Bilder, mit denen wir es hier zu tun haben, ohnehin keine Chance haben, wirklich natürlich zu werden, sondern immer nur bizarr möglich sind. Wenn ich nun gewissermaßen zusätzlich versuche, sie bizarr zu machen, werden sie schlecht.
So ganz kann ich das nicht nachvollziehen, daß die Bilder durch das Bizarre schlecht werden. Warum sollen die Bilder denn natürlich werden? Mal ganz praktisch gesehen glaube ich nicht, daß sich natürliche Bilder besser einprägen als unnatürliche. Man denke z. B. an eine Heizung aus Marzipan! :) Das ist ja einer der Unterschiede zum normalen Lernen bzw. Erinnern, daß man eben das Erinnern fördert, indem man kreative Verknüpfungen macht und Neues, Verrücktes, Außergewöhnliches "kreiert". Das ist meines Erachtens ein sehr wichtiger Aspekt, der auch die Lernmotivation steigert. Denn es macht großen Spaß sich komische Szenen oder Abfolgen auszudenken und dabei noch richtige Informationen abzuspeichern. Sozusagen das Angenehme mit dem Nützlichen verbunden. Und ganz nebenbei ist das auch eine Eigenschaft, die es erleichter (vor allem jungen) Leuten die Mnemotechniken nahezubringen.

Auf der anderen Seite steht die Logig des Erinnerns, daß man sich logische Zusammenhänge besser merkt als brüchstückhaft nebeneinander stehende.
Aber in meinen Augen gehen diese beiden Merkmale Hand in Hand.
[...] das langfristig gesehen das Memorieren eher erschwert als erleichtert, weil sehr schnell mittels dieses „Bizarr“- Ansatzes eine Beliebigkeit erzeugt wird, die dem ursprünglichen Ansatz [...]
Das sollte mal praktisch untersucht werden. Durch die vielen Anker hat man die Dinge doch eigentlich genau verknüpft. Und Beliebigkeit entsteht dadurch in meinen Augen nicht. Diese Beliebigkeit vergrößert ja gerade die Möglichkeiten des kreativen Memorisierens, da man unendliche Möglichkeiten hat sich Bilder oder Szenen vorzustellen.

MM
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Martin
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Beitrag von Martin »

Ulrich Voigt hat geschrieben:... wie man es in der Mnemotechnik am besten anstellt, dem Realen und Natürlichen nahezukommen.
So bewegt sich also der Mnemotechniker beim Konstruieren und Erschaffen „seiner Welten“ im Spannungsfeld von Natürlichkeit, realistischem Abbild einerseits und Unnatürlichkeit, artefaktischem Bild andererseits, wobei anscheinend der erst genannte „Pol“ in Reinstform, sprich ohne jeglichen Anteil des zweiten, das wirkliche mnemotechnische Ideal aus Deiner Sicht verkörpert, welches aber dergestalt dennoch unerreichbar ist, da ja zwecks „Eingängigkeit“ eine gewisse Bizarrerie nicht entbehrlich zu sein scheint.
Es bleibt mithin eine Gratwanderung, die jeder einzelne alleine für sich dahingehend abklopfen muss, wie weit nach links oder rechts er seinen Fuß jeweils setzen kann, um die gewählte Aufgabe befriedigend zu bewältigen.
mindman hat geschrieben:Diese Beliebigkeit vergrößert ja gerade die Möglichkeiten des kreativen Memorisierens, da man unendliche Möglichkeiten hat sich Bilder oder Szenen vorzustellen..
Das ist in der Tat eine der Gretchenfragen, was hier vermeintlich Vorteil oder langfristig gar dann doch Nachteil ist.
Meine Einlassungen und damit auch das von Dir ausgewählte Zitat kreisen wohlgemerkt alle um das Feld des langfristigen Memorierens großer Wissensmengen und nicht etwa, das soll jetzt bitte nicht missverstanden werden, um die „paar Dinge“, die z.B. im Rahmen der schulischen Laufbahn einem Kind bzw. Jugendlichen oder jungen Erwachsenen unterkommen. Erst in einem größeren Rahmen zeigt sich, ob nicht erhebliche Redundanzen erzeugt werden bzw. bestehen, die letztlich das bei kleinen Wissenshappen durchaus genügsame und oft „ins Blaue“ angelegte Memorier-Konstrukt schnell zum Einsturz bringen. Wie aber weiter oben geschrieben, ist es eine Gratwanderung und individuelle Frage, was jeweils konkret bezweckt werden soll.
So ganz kann ich das nicht nachvollziehen, daß die Bilder durch das Bizarre schlecht werden. Warum sollen die Bilder denn natürlich werden?
Dies ist auch aus meiner Sicht ein Voigtsches "Statement", das erst einmal verdaut sein will. Ulrich urteilt aus seinem großen Erfahrungsschatz heraus und kommt eben zu Schlüssen, die viele vielleicht eher verwundern. Man darf aber bei seinen Äußerungen nie aus den Augen verlieren, dass er grundsätzlich von Langzeitmemorierung ausgeht und diesbezüglich ganz persönliche Erfahrungswerte besitzt, die es ihm erlauben, Praktikabilitäts- Richtlinien zu entwerfen, die sich zumindest für ihn persönlich als wertvoll erwiesen haben. Kurzum: Mit den Aufgaben wachsen die Menschen und verändern sich eben etwaige Leitlinien, wenn man so will.
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Mindman
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Beitrag von Mindman »

Meine Einlassungen und damit auch das von Dir ausgewählte Zitat kreisen wohlgemerkt alle um das Feld des langfristigen Memorierens großer Wissensmengen und nicht etwa, das soll jetzt bitte nicht missverstanden werden, um die „paar Dinge“, die z.B. im Rahmen der schulischen Laufbahn einem Kind bzw. Jugendlichen oder jungen Erwachsenen unterkommen. Erst in einem größeren Rahmen zeigt sich, ob nicht erhebliche Redundanzen erzeugt werden bzw. bestehen, die letztlich das bei kleinen Wissenshappen durchaus genügsame und oft „ins Blaue“ angelegte Memorier-Konstrukt schnell zum Einsturz bringen.
Ich denke da unterschätzt du die schulische Wissensmenge gewaltig. Das macht man auch leicht, da einem Vieles mit dem Älterwerden doch schon sehr selbstverständlich geworden ist. Ausgehend von einem relativen weißen Blatt, wenn das Kind in die Schule kommt, ist das eine sehr große Menge von Wissen. Und wie sich oft zeigt, bleibt Vieles einfach nicht hängen, das merke ich ja schon an mir selbst. Und meines Erachtens ist das ein lohnenswertes, zukunftsträchtiges Feld für die Gedächtnistechniken. Zumal das "logische Assoziieren" mit dem Alter sowieso zunimmt, da man bei den meisten Dingen viel mehr Vorwissen mitbringt.
Ich stimme mit dir überein, hier ist das langfristige Erinnern wichtig!
Einbringen möchte ich auch, daß vielfach benutztes Wissen sowieso letztendlich, nach einiger Zeit, ohne die "Eselsbrücken" direkt abgerufen werden kann. Diese Assoziationen werden dann schon mal wieder "befreit" und können "wieder benutzt" werden (wie z. B. bei Routen der Fall).

Vom Gedanken her ist mir das Problem der Redundanzen schon bewußt, aber wenn man die Wissensgebiete klar trennt, dann wird das Problem schon wieder viel kleiner.
Dies ist auch aus meiner Sicht ein Voigtsches "Statement", das erst einmal verdaut sein will. Ulrich urteilt aus seinem großen Erfahrungsschatz heraus und kommt eben zu Schlüssen, die viele vielleicht eher verwundern. Man darf aber bei seinen Äußerungen nie aus den Augen verlieren, dass er grundsätzlich von Langzeitmemorierung ausgeht und diesbezüglich ganz persönliche Erfahrungswerte besitzt, die es ihm erlauben, Praktikabilitäts- Richtlinien zu entwerfen, die sich zumindest für ihn persönlich als wertvoll erwiesen haben.
Das will ich auf jeden Fall anerkennen. Mich würde dabei eben stark interessieren wie er auf diese Schlüsse kommt. Ein kleiner Erfahrungsbericht oder eine Begründung bezüglich dieser Aussagen wäre toll. Mich interessiert sowieso immer was auch wirklich praktisch funktioniert und nicht nur theoretisch.

MM
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Ulrich Voigt
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Beitrag von Ulrich Voigt »

Mindman hat geschrieben: Eine Begründung bezüglich dieser Aussagen wäre toll.
Esels Welt, Likanas Verlag Hamburg 2001, enthält meine theoretische Begründung.
Ein Erfahrunsbericht bezüglich dieser Aussagen wäre toll.
Das Jahr im Kopf, Likanas Verlag Hamburg 2003, enthält meine praktische Umsetzung.

U.V.
Klaus Horsten
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Beitrag von Klaus Horsten »

Eine Distinktion:
Schnell lernen - schnell vergessen <-> Bizarres gut versus Viel lernen - lange merken <-> möglichst Natürlichkeit als Ziel

Für mich als Dialektiker muss es eine Integration geben zwischen Bizarrem und Natürlichem. Ich sehe, dass da diese Distinktion nicht ausreicht, um den beiden ihr Gebiet anzuweisen, in dem sie ihre Berechtigung haben.

Für mich neu ist, dass das Bizarre insular gebraucht für das Langzeitwissen sehr hilfreich ist, so wie es die 100er Garderobe von Ulrich Voigt zeigt.

Es sind Merkanker, die in sich aus mindestens 2 Kettengliedern bestehen, das heißt, schon als Assoziation aufgebaut sind, kurz: Grundlage für eine Assoziation ist selbst schon eine Assoziation oder: Ein Merkanker hat eine Kette von wenigstens 2 Kettengliedern.
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peruanischer Geisterhund

Beitrag von Ulrich Voigt »

Klaus Horsten hat geschrieben: das Bizarre insular gebraucht
Wenn es nur darum geht, sich die Menge {Hund / Geist} vermittels eines geschlossenen Bildes zu merken, so ist es fast gleichgültig, ob man dabei auf Natürlichkeit oder auf Bizarrerie aus ist, denn heraus kommt eh entweder der Hundegeist oder der Geisterhund.
Nun ist der Geisterhund immer noch ein Hund und damit meinen tatsächlichen Erfahrungen allemal näher als ein Hundegeist, ich würde sogar sagen, etwas weniger geisterhaft und eben auch ein bissel weniger bizarr. Der Geisterhund ist dann das Natürlichste, was mit diesen Vorgaben zu haben ist, wobei der Hundegeist sich nur geringfügig in seiner Qualität als mnemotechnisches Bild unterscheidet.
Kurz: Solange man auf der Linie so einfacher Bilder bleibt, wird der fundamentale Unterschied zwischen dem Natürlichen und dem Bizarren als Leitidee mnemotechnischer Konstruktion kaum spürbar. Man könnte ihn ohne besonders großen Schaden sogar ignorieren. So oder so ist das Ergebnis eher fad, wozu ich in Esels Welt S. 204 lese: Der kleinste Käfer auf meinem Schreibtisch ist am Ende deutlicher als der bunteste Phantasiedrache. Erst durch seine räumliche Fixierung erhält das Bild seine Wirksamkeit, denn nur durch sie tritt es in Relation zu anderen Bildern und Realitäten und wird selbst als real empfunden.

Durch den Zusatz Nr. 94 = {Hund / Geist} und seine Umsetzung als "Peruanischer Geisterhund" wird nun aber der doch ziemlich abstrakte Geisterhund mit einem Schlage interessant, denn jetzt wird die Phantasie durchtränkt mit den Vorstellungen, die ich von "Peru" habe, dem Land der Inkas, wo Geisterhunde vielleicht wirklich mal gewest haben. Anders ausgedrückt: Das Bild wird in Richtung Erdboden (dem Natürlichen, dem Realen) bewegt und damit erst wird es wirklich ein Bild mit Qualität.

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Beitrag von Ulrich Voigt »

Klaus Horsten hat geschrieben: als Ziel
Ich denke vielmehr, dass es um die Komplexität der mnemotechnischen Phantasie geht und überhaupt nicht um ihren Zweck.

Wenn man sich (wie die gesamte Mnemotechnik des 20. und 21. Jahrhunderts abgesehen von Ulrich Voigt) auf einfachste Bilder beschränkt und die einzige Komplexität, die dabei entwickelt wird, darin besteht, dass man diese Bilder zu einer Fadengeschichte verbindet oder auf Routenpunkte stellt, kurz, solange man sich noch auf der Elementarstufe mnemotechnischer Arbeit befindet, mag man sich der Illusion hingeben, das Bizarre sei eine Leitidee.

Sowie man aber in komplexere Bilder, bewegte Szenen oder Geschichten einsteigt, verliert sich diese Illusion.

Vielleicht könnte man insgesamt sagen: "Mnemotechnische Bilder sind dann wirksam, wenn sie einerseits bizarr sind, andererseits aber doch noch hinreichend glaubhaft."

Als praktische Leitlinie wäre so eine Formulierung aber ziemlich wertlos, denn sie macht überhaupt nicht deutlich, wo nun eigentlich der Hase im Pfeffer liegt.

U.V.
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Beitrag von Klaus Horsten »

Ulrich Voigt hat geschrieben:Mnemotechnische Bilder sind dann wirksam, wenn sie einerseits bizarr sind, andererseits aber doch noch hinreichend glaubhaft.
Das ist sehr schön formuliert! Für mich ist diese Leitidee auch praktisch sinnvoll und nützlich.

Ich werde auf jeden Fall vermehrt mit dem "etwas Fantastischen" experimentieren und zusehen, ob es nicht besser im Gedächtnis haften bleibt.
Klaus Horsten
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Beitrag von Klaus Horsten »

Ulrich Voigt hat geschrieben:Sowie man aber in komplexere Bilder, bewegte Szenen oder Geschichten einsteigt, verliert sich diese Illusion.
"Jephta schlachtet seine Tochter."

In meinem vom Döbel hergenommenen Gedächtnis-Abc ist das ein Haken für je in der Reihe ja, je, ji, jo, ju.

Ich nehme an, dass dieses Bild Deinen Kriterien genügt.

Ich versuche die Bilder Döbels im Sinn von Carl Gustav Jung zu nehmen. Als Geschichten, die eine überzeitliche Bedetung haben.

Wenn man ein bisschen sucht, dann findet man heutige Predigten, die dieses Thema behandeln. Ich habe da also einen großen Spielraum an Zusammenhängen.

In meinen Augen - jetzt bin ich einmal auf der Seite der Streitbaren - nimmt Döbel niemand wirklich ernst. Unter wirklich ernst nehmen, verstehe ich, dass man das Gedächtnis-ABC anwendet, und zwar in lokalisierter Form.

Döbel hatte es. 100 Jahre später Aretin. Wieso hat es heute niemand?
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Beitrag von Martin »

Mindman hat geschrieben:Ich denke da unterschätzt du die schulische Wissensmenge gewaltig.
Da widerspreche ich. Es kommt eben auf die Relation bzw. Bezugsgröße an, die man zugrunde legt. Das Schulwissen verglichen mit Wissen aus vielen Studienfächern (Geschichte, Humanmedizin, Psychologie etc., also Disziplinen, die umfangreiches Faktenwissen als Grundvoraussetzung erfordern), von beruflichem Expertentum erst gar nicht zu sprechen, bleibt überschaubar, speziell wenn man bedenkt, dass in manchem Studiengang das komplette Fach- Wissen in der Staatsexamens- bzw. Diplomprüfung abrufbar sein muss oder sollte, während dies im schulischen Rahmen allenfalls auf die sog. Kernfächer z.B. für die Abiprüfung zutrifft. Aber ich will jetzt keine bildungspolitische Grundsatzdiskussion lostreten und bin mir bewusst, dass jeder Vergleich natürlich auch seine Schwächen hat...
Einbringen möchte ich auch, daß vielfach benutztes Wissen sowieso letztendlich, nach einiger Zeit, ohne die "Eselsbrücken" direkt abgerufen werden kann.
Volltreffer! Die Zeit hat z.B. der Schüler, weil er stakkatoartig Wissen in der Schule einüben muss. Richtig interessant wird es doch aber erst, wenn ich Wissen nur hin und wieder oder gar selten abzurufen habe, und erst da offenbart sich dann die tatsächliche Tragfähigkeit meiner Konstruktion. Denn wird dieses von Dir zitierte „vielfach benutzte Wissen“ nicht mehr so oft angewendet, weil man z.B. die Schulzeit hinter sich gebracht hat, wirft sich sehr schnell das Problem eines „kontrollierten“ Zugriffs auf das einmal Gelernte, aber wegen fehlender ständiger Übung leider "verschüttet Gegangene" auf.
Ulrich Voigt hat geschrieben:dass es um die Komplexität der mnemotechnischen Phantasie geht und überhaupt nicht um ihren Zweck.
Einspruch, Euer Ehren! ;-) Bei jeder Konstruktion einer mnemotechnischen Phantasie geht es doch nicht nur, aber auch um deren Zweck, die Kernfrage ist jedoch vielmehr, in welcher Weise dieser Zweck nachhaltig und möglichst „sauber“ herbeigeführt bzw. erreicht werden kann. Hierbei gilt in meinen Augen schon, dass der Zweck die berühmten Mittel, nämlich meine eingesetzten mnemotechnischen Hilfen/Werkzeuge, heiligt. Nur müssen diese Mittel eben adäquat konzipiert, ausgewählt und eingesetzt werden, um nicht, wie Du einmal so schön formuliert hast, mit dem „gebauten Segelschiff ganz plötzlich verloren auf offener See zu kreuzen“. Und das bedeutet schließlich, Komplexitäten in Kauf nehmen zu müssen bzw. ohne diese in der Regel erst gar nicht auszukommen.
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Ulrich Voigt
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Beitrag von Ulrich Voigt »

Ulrich Voigt hat geschrieben:dass es um die Komplexität der mnemotechnischen Phantasie geht und überhaupt nicht um ihren Zweck.
Martin hat geschrieben:Einspruch, Euer Ehren! ;-) Bei jeder Konstruktion einer mnemotechnischen Phantasie geht es doch nicht nur, aber auch um deren Zweck, die Kernfrage ist jedoch vielmehr, in welcher Weise dieser Zweck nachhaltig und möglichst „sauber“ herbeigeführt bzw. erreicht werden kann.
Ein Missverständnis! Natürlich geht es bei jeder Konstruktion um den Zweck. Ich habe das überhaupt nicht in Frage gestellt.
Ich habe nur gesagt, dass das Problem der Unterscheidung zwschen "bizarr" und "natürlich" nicht vom Zweck der Konstruktion abhängt, sondern ausschließlich von ihrer Komplexität.

U.V.
Martin
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Beitrag von Martin »

Ulrich Voigt hat geschrieben: Ein Missverständnis!
Du hast natürlich vollkommen recht! Der Lapsus liegt ganz auf meiner Seite und in meinem zu flüchtigen Lesen begründet.
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