Mindman hat geschrieben:Kann man das Prinzip aus dem Buch zur Kalenderberechnung auch wirklich auf andere große Wissensgebiete anwenden, wie z. B. die Chemie?
Vielleicht bekommen wir eine Antwort auf diese Frage von Ulrich Voigt selbst. Das wäre sehr schön.
Chemie: Zuerst muss man eine Codierung für die chemischen Symbole finden. Das kann das Buch nicht leisten. Dafür gibt es aber schon Lösungen in anderen Mnemotechnikbüchern. Ich verstehe zuwenig von Chemie, um hier mitreden zu können.
In der Mnemotechnik ist es leider so, dass alle Ideen nutzlos und nichtig sind, so lange man sie nicht wirklich ausprobiert und getestet hat. Und selbst wenn man eine Idee anhand von ein paar Beispielen getestet hat, weiß man noch lange nicht, ob sie bei einer großen Stoffmenge auch funktioniert. Ich mag mir beispielsweise 100 Zahlen mit einer Route merken können. Wegen dem weiß ich noch lange nicht, ob ich mir auch 10000 Zahlen mit Routen merken kann.
Ich mache es so, dass ich, wenn ich 1000 Items zu lernen habe, je 10 nehme, und sie anhand einer Sentenz zu einer Geschichte verballe. Ich brauche dann nur 100 Sentenzen und nicht 1000 Routenpunkte.
Ich habe beispielsweise 10 Lernwörter. Die forme ich zu 10 Codewörtern um. Die Codewörter sind bildlich und gegenständlich. Dann nehme ich eine Sentenz her wie "Abimelech stürmet den Thurm." Nun erfinde ich eine Geschichte um Abimelech, der versucht, einen Turm zu erstürmen. Die 10 Codewörter kommen allesamt in der Geschichte vor. Wenn ich mich selber abfrage, weiß ich, dass ich bei Abimelech 10 Wörter wissen muss.
Wie ich nun diese Geschichte machen muss, das erfahre ich sehr wohl aus Voigts Buch, nicht aber von Karsten, Buzan und anderen. Eine Ausnahme bildet das Buch von Ursula Höntsch "Mnemotechnik - Wege zum Supergedächtnis", das auch Ulrich Voigt in beiden seiner Bücher löblich erwähnt. Höntsch schreibt ebenfalls Geschichten.
Ich persönlich habe also zwei Muster: Voigts Geschichten im Kalenderbuch, und Höntschs mehr auf die Kettenmethode ausgerichtete Geschichten, wenige, aber doch sehr interessante.
Eine Sentenz bietet in meinen Augen mehr als ein Routenpunkt. In einer Sentenz habe ich schon eine Geschichte. In einem Routenpunkt habe ich bloß einen Gegenstand. Die Geschichte bietet mir mehr Assoziationsmöglichkeiten. Da es mir um wirklich viel Wissen geht, ich mir also beispielsweise 1000 Wörter auf lange Zeit zu merken, finde ich den Aufwand mit Sentenz und Geschichte gerechtfertig. Ich wüsste auch nicht, wie ich mir sonst 1000 Wörter merken könnte, die ich alle - hoffentlich - aufsagen kann.
Ich teile also den Stoff von 100 Wörtern in 100 10er Happen. Das sind 100 Geschichten, die ich anhand der Sentenzen finde.
Sich 100 Geschichten zu merken, ist möglich. Ich weiß ja: Abimelech stürmet den Trum. Wie sieht der Turm aus? Ja, da ist ja eine Uhr darauf, die sich seltsamerweise in unregelmäßigen Abständen fortbewegt. Und was ist noch an diesem Turm? Die Spiegel. Und auf dem Trum steht ein riesiger Affe ... Und unter dem Turm befindet sich ein Fluss etc.... - Das sind lauter Assoziationsstützen.
Dass ich nun: descriptio loci, descriptio rei, description personae in der Gattung einer "Lügengeschichte" verwenden kann, dass habe ich aus dem Kalenderbuch Voigts gelernt.
Man könnte auch die Anzahl der Items steigern. Ich habe zwei 100er Garderoben mit 10 Geschichten gelernt. Ich muss nur die 10 Geschichten rekapitulieren, um etwa heraus zu finden, dass 79 als Person ein Kobold und als Ding eine Kappe ist.
Dass eine Senzenz mehr ist als ein Routenpunkt, auch darauf hat mich Ulrich Voigt geführt.
Ich persönlich halte mich bei all dem zugleich an Johann Döbel, also an sehr alte Literatur.
Um mir 100 Gedichte zu merken verwende ich allerdings 100 Häuser, so ähnlich, wie es Voigt in Esels Welt macht. Ich habe 10 markante Häuser in den ersten 10 Bezirken Wiens. Wenn ich mir beispielsweise das Gedicht "Der Krieg" von Georg Heym merken will, dann stelle ich mir den Stephansdom in zerbombtem Zustand vor. Wenn ich nun "Stephansdom" höre (der zweite Routenpunkt im ersten Bezirk, also das zweite markante Haus), dann weiß ich sofort: Stephansdom zerbombt -> Krieg. Ich verorte zugleich die Geschehnisse in dem Gedicht um den Stephansdom. "In Gewölben unter dem Stephansdom schläft ein Riese. Die Gewölbe befinden sich ganz tief unten im Dom, an seiner untersten Schwelle. Es ist der Krieg. Er schläft nun schon seit vielen hundert Jahren dort. Nun aber ist er erwacht. Und aufgestanden. Es ist Abenddämmerung. Der Mond scheint."
Genug!